Am Morgen gehe ich gerne kurz auf den Balkon, befülle das Futterhaus für die Meisen, Stare und Sperlinge, schaue nebenbei, was sich gerade ringsum am Boden, in den Bäumen und in der Luft tut. Kürzlich gab es eine besondere Überraschung: Tief unter mir suchte ein Grünspecht nach Futter – dort, wo normalerweise die Amseln nach Insektenlarven und Würmern im Boden stochern.
Der etwa Turteltauben-große Vogel mit seiner leuchtend roten Kappe fiel mir sofort auf, obwohl ich drei Altbau-Stockwerke über ihm stand und obwohl es noch ziemlich schummerig war. – Kein gutes Timing zum Fotografieren. Trotzdem habe ich hier ein paar Fotos zusammengestellt. Denn genau so sehen wir die scheuen Grünspechte meistens, oder gar nicht.
Der Erdspecht
Es ist Anfang Februar, und die ersten Schneeglöckchen blühen schon im Garten. Der Boden ist nicht gefroren, und der Specht sitzt weit entfernt unter mir und bohrt immer wieder seinen Schnabel in die Erde. Er ist auf Nahrungssuche.
Wie ich in einem früheren Blogbeitrag schon berichtet habe, ist es für Grünspechte typisch, am Boden unterwegs zu sein. Denn dort finden sie Würmer, Engerlinge und andere Larven von Käfern. Als „Erdspechte“ werden Grünspechte und ebenso die Grauspechte bezeichnet. Sie werden in der Biologie „Hackspechten” wie dem Buntspecht gegenüber gestellt.
Was der Grünspecht frisst
Auf Bäumen findet der Grünspecht ebenfalls Nahrung. Aber anders als der Buntspecht und auch der Mittelspecht klopft er nicht ans Holz und bohrt keine tiefen Löcher hinein, um Insektenlarven aufzuspüren, sondern sucht speziell unter der Rinde nach Fressbarem. Vor allem: Viel häufiger als die Hackspechte erschließt er sich bodennahe Nahrungsquellen, wie etwa von Johann F. Naumann beschrieben (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. IV, S. 269)
Aus dem Moose unter den Bäumen sucht er Schmetterlingspuppen hervor und frisst auch die Raupen verschiedener Arten. Der Larven wegen stört er auch zuweilen in den Nestern von Hummeln und Wespen herum.¹
Seine Leibspeise sind übrigens Ameisen und deren Larven, die er mit seiner bis zu 17cm langen, klebrigen Zunge angelt. Um an sie heranzukommen, stochert er in Ameisenhaufen – gerade auch im Winter, wenn die Tiere kältestarr sind und das Nahrungsangebot insgesamt gering ist. All das lese ich in dem wunderbaren Buch Spechte & Co.
Manchmal sieht der Schnabel des Grünspechts recht schmuddelig aus. Das hat einen trifftigen Grund: Wenn er mit seinem kräftigen Schnabel den Boden förmlich aufhackt oder sogar Gänge gräbt, um an verborgene Nahrung zu gelangen, bleibt Erde hängen. Dann wirkt der eigentlich bleigraue Schnabel verklebt und ist vor allem an der Spitze mattbraun gefärbt.
Sichern ist wichtig
Während mein Überraschungsbesuch in der Erde stocherte, hob er zwischendurch immer wieder den Kopf und hielt ihn schräg, um so die Sicherheitslage zu kontrollieren. Vermutlich hatte er mich bemerkt.
Dass es sich bei dem morgendlichen Gartenbesucher um ein Männchen handelt, lässt sich dem kleinen roten Fleck unter dem Auge erkennen, der in dem sogenannten schwarzen Bartstreifen liegt.
Die weiblichen Grünspechte haben an dieser Stelle keine roten, sondern nur schwarze Federchen.
Nicht nur das illustriert die Grafik aus dem „Naumann“ (a.a.O. Bd. IV, Tafel 29) besonders gut, sondern auch die Vielfalt der Gefiederfarben.
Der Rücken der adulten Spechte ist weitgehend grün – und namensgebend für dies Vogelart.
Zusätzlich leuchten einzelne Federpartien am Bürzel und der Oberschwanzdecke „hoch gelb“ – wie Johann F. Naumann es so passend und für uns heute ungewöhnlich ausdrückt.
Der Jungvogel hingegen hat etwas von einem Streuselkuchen, um es profan auszudrücken.
Schmucker Abflug
Es dauerte übrigens nicht lange, da flog der Grünspecht auf und schwirrte in die knorrige Robinie am Rande des Gartens. Dort platzierte er sich so geschickt, dass ich ihn nie entdeckt hätte – wäre er mir nicht schon zuvor aufgefallen.
Leider hielt es ihn auch dort nicht lange, und er flog in seinem attraktiven gelb-grünen Federkleid und geschmückt mit der leuchtend roten Kappe davon. Mir hinterließ er ein zugleich rätselhaftes und doch eindeutiges Flugbild.
¹ So lautet der Text, aber vermutlich muss es „stöbert herum” heißen.
Grünspecht | Pic vert | Green Woodpecker | Picus viridis
Sehr geehrte Frau Brüser,
vielen Dank für diesen informativen Blog-Beitrag. Neulich haben meine Frau und ich auch ein Grünspecht-Weibchen im Boden pickend gesehen. Nun erklärt sich das Verhalten für uns viel besser.
Liebe Grüße
…gut getroffen! Charakteristisch für den Grünspecht ist auch sein „Gesang“, ein weithin schallendes Lachen…
Liebe Grüsse
Wolf
Danke, und völlig richtig! Der Sänger wartet noch auf seinen Auftritt…