Grünschenkel gehören wie etwa Säbelschnäbler, Austernfischer und Rotschenkel zu den Watvögeln, die wir hierzulande unter anderem an der Nordseeküste beobachten können. Aber während diese drei Arten dort auch dem Brutgeschäft nachgehen, fliegt der Grünschenkel weit nach Norden, um seine Eier zu legen, zu brüten und seine Jungen aufzuziehen.
Ende Juni beziehungsweise Anfang Juli treffen die ersten adulten Grünschenkel, nachdem sie gebrütet haben, an unseren Küsten ein. Die Jungvögel folgen etwas später – im August. Es lohnt sich unbedingt, im Spätsommer auf die eleganten Vögel mit den langen matt-grünen Beinen, die manchmal auch auf Rieselfeldern oder in Überschwemmungsgebieten rasten, ein Auge zu haben. Sie sind allerdings scheu.
Rast im Wattenmeer
Das Wattenmeer an der deutsch-niederländischen Küste nutzen viele Vögel zum Auftanken – also zum Fressen. Grünschenkel machen sich von dort im Frühjahr in ihre Brutgebiete in Skandinavien und Finnland auf. Vor allem, wenn sie von dort zurückkehren legen sie im Watt der Nordsee einen Zwischenstopp ein. Einige von ihnen überwintern dort, die meisten fliegen nach Südwesten und steuern westafrikanische oder Überwinterungsgebiete südlich der Sahara an.
Als Zugvogel am Indischen Ozean
Bislang war es mir hierzulande nicht gelungen, bei gutem Licht und aus der Nähe einen Grünschenkel zu beobachten und zu fotografieren. Da half mir nun eine Vogeltour in den Oman. Sehr zufällig lief mir im südlichen Eck, bei der Stadt Salala, ein einzelner Vertreter der Art mit dem wissenschaftlichen Namen Tringa nebularia über den Weg.*
Ich hatte es eigentlich auf die Weißbart-Seeschwalben abgesehen, die dort im Sturzflug auf Fischfang gehen, aber sie ließen sich nicht blicken. Stattdessen entdeckte ich einen Rotschenkel und diesen Grünschenkel. Er ist mit einer Länge von 30-34 cm größer als sein rotbeiniger Verwandter Tringa totanus, der es auf 24-27 cm bringt.
Der auffälligste Unterschied zwischen den beiden Arten ist natürlich die Farbe der Beine. Doch je nach Licht kommt es auch auf Körpergröße und die Flügelspannweite an, will man den Vogel identifizieren. Die Spannweite ist beim Grünschenkel ebenfalls erheblich größer als beim Rotschenkel. Und im Flug fällt auf, dass der Schwanz beim Grünschenkel weiß ist, wohingegen beim Rotschenkel der Schwanz hell-dunkel gebändert ist – wie in diesem Blogpost zu sehen – und seine rötlichen Beine darunter etwas hervorragen.
Schließlich ist der Schnabel des Grünschenkels leicht nach oben gebogen – in der Ornithologie sprechen wir von „aufgeworfen“.
Übrigens: Ob es sich hier um einen weiblichen oder männlichen Grünschenkel handelt, kann ich nicht sagen. Die beiden Geschlechter sehen gleich aus, allerdings sind die Damen im Schnitt ein kleinwenig größer …
Es gibt also, wie auch bei vielen anderen Watvogelarten, keinen offensichtlichen Sexualdimorphismus.
Auf Nahrungssuche
Zurück zu dem Grünschenkel an der Küste des Indischen Ozeans, der hier Arabisches Meer heißt. Er war auf Nahrungssuche und, wie es bei Watvögeln üblich ist, nah am Wasser unterwegs. Das kann ebensogut ein Strandabschnitt sein wie im Binnenland das Ufer eines Tümpels, ein Feuchtgebiet oder ein Flusslauf. Der Grünschenkel fängt seine Beute im Flachwasser und sucht sie vor allem mit den Augen – also visuell.
Nahrung schnappt er meist direkt aus dem Wasser, stochert wenig und nicht so tief im weichen Schlamm oder Sand des Meeresbodens. Daher sieht man ihn öfter aufmerksam durchs Wasser schreiten. Oder er läuft etwas hektisch hin und her, wenn Strömungen oder Wellen womöglich Schmackhaftes ans Ufer gespült haben und das Wasser langsam wieder abfließt.
Etwas lakonisch, aber sehr präzise heißt es in dem wertvollen Handbuch der Vögel Mitteleuropas¹
Ausgesprochener Beutegreifer. Sucht seine Nahrung vorzugsweise im Seichtwasser (deshalb am Meer der Wasserlinie folgend) … Lokalisieren der Beute überwiegend visuell …
Im Seichtwasser entweder im langsamen Schreiten pickend, sondierend oder die oberste Wasserschicht durchsäbelnd, aber auch im raschen, oft richtungslosen Umherrennen pflügend oder scheinbar überstürzt ins Wasser stechend.
Besonders eindrucksvoll ist es, ihn in Bewegung zu sehen: Wie er läuft oder schreitet, den Kopf nickend vor- und zurückschiebt, den leicht geöffneten Schnabel ins Wasser senkt und mit leicht pendelnder Bewegung nach Nahrung schnappt … Vieles davon erinnert ein wenig an die – allerdings ausladenderen – Schwünge des Säbelschnäblers.
Am Meer hat es der Grünschenkel auf Fischchen wie kleine Aale, Grundeln und Stint abgesehen, aber auch auf Würmer und Krebstiere. In den weit nördlichen Brutgebieten frisst er in großen Mengen Insekten, darunter Fliegen, Libellen und Käfer sowie deren Larven. Manchmal schnappt er sich auch kleine Amphibien und sehr gerne die eine oder andere Kaulquappe.
Ferne Heimat
Wir können davon ausgehen, dass dieser Grünschenkel, der im Februar im Mittleren Osten unterwegs war, ursprünglich aus der russischen Tundra stammt. Dort ist er vermutlich ausgebrütet worden und wird dorthin zurückkehren, um sich zu paaren und selbst zu brüten, womit übrigens beide Geschlechter beschäftigt sind. **
Von der Tundra aus fliegen die Vögel nach der Brut in Richtung Süden – tendenziell süd-westwärts – und gelangen so unter anderem an den Indischen Ozean. Dort finden sie reichlich Nahrung an Meeresküsten, Flüssen und in Feuchtgebieten.
Ich muss sagen, ich war unglaublich begeistert, diesem Zugvogel fern der Heimat zu begegnen. Was mag er alles erlebt und gesehen haben!
Da sich die Brutgebiete des Grünschenkels von Schottland aus über Europa, Russland und Asien hinweg bis Kamtschatka erstrecken, finden wir Überwinterer von Marokko und Transsahara-Afrika ausgehend über den Mittleren Osten und Asien hinweg bis nach Indonesien und Australien. Das zeigt die eingefügte Karte (verändert nach HBW²), in der die Sommer- und Winteraufenthalte eingezeichnet sind. Auch meinen Beobachtungsstandort habe ich dort markiert.
Wer Glück hat, der sieht den grünbeinigen Watvogel jedoch vor der hiesigen Haustür: im norddeutschen Wattenmeer. Vielleicht auch im Binnenland.
Ein erster Hinweis sind die Fußabdrücke eines Watvogels im Sand. Genaugenommen sind es die Abdrücke seiner Zehen.
Typisch Watvogel: drei lange Zehen zeigen nach vorne. Die kleine, nach hinten gerichtete Zehe hinterlässt keinen deutlichen Abdruck.
* Der Jemen ist hier nicht weit. Maskat als Hauptstadt des Oman über 1000 km entfernt.
** Manchmal „bezirzst“ ein männlicher Vogel zwei weibliche. Das hat Nachteile für die Damen, denn er hat dann weniger Zeit, um zu brüten.
¹ Urs N. Glutz von Blotzheim u.a., Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Aula 1987, Bd. 7, Seite 450 ff
² Josep del Hoyo u.a, Handbook of the Birds of the World, Barcelona 1996, Bd. 3, Seite 510
Grünschenkel | Chevalier aboyeur | Common Greenshank | Tringa nebularia
Liebe Elke!
Deine Fotos und Beobachtungen über die Grünschenkel sind wieder eine Augenweide und füttern das Gehirn! Wie alle deine Berichte und Fotos! Herzlichen Dank!
Besonderen Dank auch für deine Gedanken zu Birderin/Birder!
Wenn doch alle Menschen so gelassen und humorvoll mit Eindrücken und Problemen umgehen würden! Die Welt wäre eine andere! Jutta