Ich bin in den letzten Wochen oft zu „Tristan und Isolde“ gefahren, so habe ich das Storchenpaar in einem Dorf südlich von Berlin aus einer Laune heraus genannt. Denn das Treiben hoch oben auf dem Schornstein über dem Dachfirst einer Scheune zu beobachten, ist unglaublich entspannend und manchmal durchaus spannend. Faszinierend ist neben vielem anderen die Fütterung der drei jungen Weißstörche, die anfangs im Nest hocken und später neugierig oder hungrig im Nest stehen, wenn ein Altvogel den Horst anfliegt.
Kaum landet der Altvogel auf dem Nestrand, beginnt sie oder er zu würgen, um die mitgebrachte Nahrung aus dem Magen heraufzubefördern und auszuspeien. In den ersten zwei Wochen fressen die Jungen das Ausgespeite meist vom Nestboden, später gehen sie den Schnabel des Altvogels gezielt an – eine ziemlich heftige Art des Bettelns. Die beschreibt Rudolf Mell in dem schönen Büchlein „Der Storch“ (Neue Brehm-Bücherei, 1951, Bd. 35, S. 28) so: Am zwölften Tag
… begannen die Jungen beim Betteln nach der Schnabelwurzel der Alten hinauf zu picken und zwar sofort so zielsicher, daß das Elterntier infolge der empfindlichen Stöße gegen die Haut des Mundbogens zurückzuckte …
Sie picken aber nicht nur gegen den Schnabel des Vaters oder der Mutter, sondern schieben ihren Schnabel seitlich hinein, schnappen sich quasi von Mund zu Mund die hochgewürgten Heuschrecken, Frösche, Mäuse oder was immer der elterliche Magen hergibt.
Storchenkinder wachsen enorm schnell. Gerade geschlüpft wiegen sie rund 75 Gramm, die Storchenmutter 50 Mal so viel. Damit die Jungen ausreichend wachsen und ein Gefieder entwickeln, das sie im Herbst einige tausend Kilometer weit trägt, benötigen sie sehr viel Futter. Unersättlichen sind sie mit etwa drei Wochen, denn in dieser Zeit nehmen sie täglich 165 Gramm an Gewicht zu. Für jedes der meist drei oder vier Jungen müssen die Eltern von da an täglich 600 Gramm Futter zum Nest bringen.
Vielfältiger Speisezettel
Was die Eltern dem Nachwuchs vorsetzen, hängt von der Jahreszeit ab und der Region, in der ihr Horst steht. Im Frühsommer sind es in der Regel mehr Frösche – aber auch Regenwürmer –, in der Nähe von Teichen fangen Störche oft Fische, je nach Angebot verschlingen sie auch Vogeleier, sogar die Jungen von bodenbrütenden Vögeln und junge Hasen landen im Storchenmagen. Dazu nochmals Rudolf Mell (S. 29):
Hinsichtlich der Nahrungsstoffe kann das Storchenpaar auch nicht wählerisch sein. Die Folge ist, daß der Storch so ungefähr alles frißt, was ihm vor den Schnabel kommt und was er bewältigen kann.
Mitte Juli finde ich Tristan und Isolde regelmäßig auf wunderschön blühenden Sommerwiesen, die nicht gemäht und nicht bewirtschaftet werden, und wo sie Käfer, Heuschrecken und alle möglichen Kerbtiere fangen können. Um den Hunger der Jungen zu stillen, schnappen sie offenbar sogar nach jungen Mäusen oder Wieseln. Gesehen habe ich das noch nicht.
Egal ob die Beute klein oder groß ist, der Storch kaut seine Nahrung nicht. Der Ornithologe Johann F. Naumann beschrieb anschaulich, wie er sie schnappt und in den Rachen befördert. (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, Leipzig, 1905, Bd. VI, S.319)
Der Storch verschlingt alles unzerstückelt und hat … eine eigene Manier, die Nahrungsmittel zu verschlucken; er fasst sie nämlich mit der Spitze des Schnabels, schleudert sie mit einem Ruck in den Rachen und schlingt sie nun vollends herunter.
Dass ist manchmal schwierig, weshalb Störche zum Beispiel breite Fische mit gezielten Schnabelhieben biegsam machen, verrät Naumann. Größere Nahrungsbrocken sind manchmal auch schwierig wieder hoch zu würgen und für die Jungen auszuspeien. Das sieht dann nach einer rechten Quälerei aus.
Nach dem Essen
Zurück zu den Jungen im Nest. Sobald der Altvogel nichts mehr hervorwürgen kann, schwingt er sich elegant aus dem Nest.
In den ersten Wochen wechseln sich die Alten am Horst als Behüter ab, sie begrüßen einander klappernd und stehen manchmal gemeinsam auf dem Horst. Dafür bleibt keine Zeit, wenn der Nachwuchs eigentlich ständig einen leeren Magen hat. Mit zunehmendem Alter bleiben die Jungstörche darum nach der Mahlzeit sich selbst überlassen.
Es ist amüsant, ihnen beim Zeitvertreib zu zuschauen:
Zunächst stochern sie noch auf dem Nestboden herum und finden dort offenbar noch den ein oder anderen Leckerbissen.
Bald darauf stolziert einer der Störche nach dem anderen rückwärts bis an den Nestrand, übrigens immer mit dem Kopf zum Wind, und spritzt den weißen Kot in hohem Bogen hinaus.
Danach geht es an die Gefiederpflege, die immer sehr sorgfältig ist. Jungstörche unterbrechen allerdings die Körperpflege dann und wann, Fitnesstraining ist angesagt. Anfangs strecken sie nur Flügel und Beine aus, balancieren auf einem Fuß stehend. Später üben sie sich im Flügelschlagen und hüpfen immer mutiger auf dem Nest herum. Das heißt, sie lassen sich ein paar Zentimeter hochtragen und trainieren das Landen auf dem Nestrand. Irgendwann wagen sie den ersten Flug. Aber dazu ein anderes Mal mehr.
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