Dem Bartkauz in seinem natürlichen Lebensraum zu begegnen, ist ein phantastisches Erlebnis: Diese Ruhe, mit der die große Eule uns anschaut, den Kopf mal nach links, mal nach rechts dreht und so – absolut stillsitzend – ihre Rundumsicht von nahezu 360 Grad demonstriert. Und wenn sie dann irgendwann mit ausholenden Schwüngen davonschwebt. Toll!
In Deutschland leben keine Bartkäuze, außer in einigen Zoologischen Gärten. Dort hat einer seiner Art für Schlagzeilen gesorgt: Er ist im Sommer 2018 im Bergzoo von Halle gestorben und war offenbar mit dem West-Nil-Virus infiziert. Dieser Erreger ist nah verwandt mit dem Usutu-Virus, das in manchen Jahren tödliche Epidemien unter den Amseln und anderen Singvögeln verursacht. Mehr dazu auf meiner Info-Seite.
Beide Virentypen können bei Bartkäuzen tödliche Infektionen hervorrufen – übertragen von hiesigen Stechmücken der Sorte Culex pipiens oder selteneren Mückenarten.
Mich hat der Bericht über die Infektion des Bartkauzes zunächst gewundert. Denn dort, wo ich auf den Vogel traf, konnte ich mich vor Stechmücken kaum retten. Es war sumpfig, die Luft feucht. Aber den Bartkäuzen, von denen in diesem Wald gleich mehrere Paare brüten, geht es gut.
Sie leben im Vygonoschanski-Urwald in Weißrussland – kein Forst, sondern eine wilde Mischung aus Birken, Eichen, Erlen und vielen Kiefern über einer wunderbaren Bodenvegetation.
Die Käuze jagen in dem weitgehend unberührten Gelände nach Mäusen, vor allem nach Wühlmäusen, und sie haben es offenbar mit Stechmücken zu tun, die nicht mit dem West-Nil- oder dem Usutu-Virus infiziert sind. Beiden Erregern wird es dort im Winter sicher zu kalt.
Verbreitet sind Bartkäuze vor allem in den borealen Wäldern der russischen Taiga, also in den nördlichsten Waldbeständen unseres Globus. Doch sie leben und brüten auch in Finnland, Mittelschweden, Weißrussland und Polen. Da sie zirkumpolar vorkommen, gibt es sie auch in Nordamerika.
Der Weg ist das Ziel
In Weißrussland war ich keineswegs alleine unterwegs, sondern auf einer zehntägigen Tour mit wirklich vogelbegeisterten und sehr erfahrenen Ornithologen. Aber ohne den ortsansässigen Beringer, der alle Brutpaare vor Ort gut kennt und uns führte, wäre die Suche nach dem Bartkauz kaum erfolgreich gewesen. Zuerst sahen wir den Horst.
Bartkäuze nutzen für die Brut meist Nester, die von Krähen oder Greifvögeln angelegt wurden. Sie bauen diese aus, nutzen sie mehrfach, und mit den Jahren wird der Horst dadurch immer mächtiger. Dass es ihnen nicht wichtig ist, selbst den Grundstock zu legen, ist heutzutage von Vorteil: Viele ursprüngliche Wälder verschwinden, werden zu Forsten für die Holzwirtschaft umgebaut. Da fehlt es dem Bartkauz an altem Baumbestand mit passenden Nistmöglichkeiten.
Auf der Webseite der AG Eulen lese ich jedoch, dass Bartkäuze die Kunsthorste, die ihnen Naturschützer in Finnland und Schweden anbieten, gerne annehmen. Mit anderen Worten, sie lassen gerne bauen.
Ganz in der Nähe des Horstbaums entdeckten wir schließlich die Bartkauz-Dame. Der Vogel ist etwa so groß wie ein Uhu, aber nicht so schwer, denn das meiste Volumen bringt sein luftiges Federkleid und nicht etwa das Muskelgewebe oder das Knochengerüst. Bekannt ist er für sein dunkles Gesicht, die hellen seitlichen Augenbrauen und den großen runden Kopf.
Ein supergutes Gehör
Der Bartkauz ist kein ausgesprochener Nachtjäger, er jagt in der Dämmerung und auch am Tag. Kein Wunder: Im hohen Norden ist es im Sommer lange hell, da würde ihm und den Jungen bald der Magen knurren, wenn die Mäusejagd auf die Dunkelheit beschränkt wäre. Seine Augen sind im Vergleich zu tagaktiven Greifvögeln groß, sehen auch bei wenig Licht scharf, und fast bewegungslos kontrollieren die Vögel per Kopfdrehung das ganze Umfeld. (Zum Vergrößern die Fotos zweimal anklicken.)
Bartkäuze haben nicht nur ein gutes Sehvermögen, sondern vor allem ein phantastisches Gehör. Das macht sie von den Lichtverhältnissen unabhängig. Sie können ihre Beute allein mit den Ohren orten, zum Beispiel wenn die Maus im Winter unter der Schneedecke herumläuft. Das berichtet Tim Birkhead in seinem Buch Die Sinne der Vögel (Springer, Berlin 2018, S. 42)
Um allein nach dem Gehör jagen zu können, müssen Bartkäuze nicht nur außerordentlich scharfe Ohren haben, sondern die Schallquelle exakt lokalisieren können, und das sowohl in der Horizontal – als auch in der Vertikalebene.
Das gelingt ihnen auch deshalb, weil das Gehör auf der linken und rechten Kopfseite unterschiedlich positioniert ist. (Was das für die Verrechnung von Schall bedeutet, lässt sich nicht kurz erklären. Ich bitte daher, das bei Tim Birkhead oder anderswo nachzulesen.)
Außerdem: Vögel haben keine Ohrmuscheln, dafür wachsen ihre Federn im Kopfbereich so, dass der Schall gut zu den Ohren geleitet wird. Deren schlitzartige Öffnungen sind beim Bartkauz außergewöhnlich groß, und die Anordnung seiner Federchen im Gesicht sorgt dafür, dass viel Schall eingefangen wird: sauber getrennt für die linke und die rechte Seite. Wissenschaftler haben diese Federn „Gesichtsschleier“ getauft.
Im Vergleich zu uns haben Vögel das große Los gezogen: Ihre hochsensiblen Hörzellen im Innenohr erneuern sich, so dass die Tiere wahrscheinlich keine „Altersschwerhörigkeit“ kennen. Und auch vor Lärmschäden durch hohe Lautstärken sind sie besser geschützt als wir.
Ich pesönlich hätte übrigens gerne gewusst, ob die Bartkauz-Dame registriert hat, dass wir nicht auf Weißrussisch, sondern – wenn überhaupt – auf Deutsch geflüstert haben.
Bartkauz | Chouette lapone | Great Gray Owl | Strix nebulosa
Künstliche Horsthilfen werden auch in Weißrussland angeboten. Ein erfahrener Ornithologe schickte mir jetzt ein Foto von einer ungewöhnlichen Nisthilfe in Weißrussland – ein Autoreifen -, und er erklärte mir: Dem Bartkauz ist es egal, ob die Unterlage ein natürlicher Horst oder eine andere Plattform ist. Da haben nur wir Menschen manchmal ein etwas verklärtes Bild. Ein Kauz auf einem Autoreifen ist ja auch nur so etwas wie ein Storch auf dem Wagenrad, ein Fischadler im Korb auf dem Gittermast, eine Meise im Nistkasten …
(©Foto: B. Schäfer)
Sehr schön, dass man die Fotos durch Anklicken noch vergrößern kann.
Gerade lese ich im Deutschen Ärzteblatt, dass erneut ein toter Bartkauz in einem Tiergehege mit dem West-Nil-Virus infiziert war. Mehr dazu auf meiner Info-Seite unter Wissenswertes und aktuell hier: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/97873/West-Nil-Virus-erneut-in-Deutschland-nachgewiesen